„Das Urteil gegen Jameda wird die gesamte Branche der Bewertungsportale beeinflussen“

Spannende Zeiten liegen vor Arbeitgeber-Bewertungsportalen wie kununu. Die größte Plattform dieser Art in Europa muss möglicherweise sein Geschäftsmodell überdenken. Grund ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) gegen das Ärzte-Bewertungsportal Jameda(20. Februar 2018).
Was war geschehen? Eine nicht mehr praktizierende Ärztin hatte gegen das Portal geklagt, weil sie dort gegen ihren Willen aufgeführt und darüber hinaus auch überwiegend negativ bewertet wurde. Sie sah darin ihr Persönlichkeitsrecht verletzt. Bisher blieben solche Klagen stets erfolglos, denn der BGH hatte bereits 2014 entschieden, dass Ärzte den Eintrag mit ihren Basisdaten und Patientenbewertungen nicht verhindern können, wenn das Portal nur neutrale Informationen zur Verfügung stellt. Doch genau das sah das BGH dieses Mal nicht als gegeben an, denn Jamedazeigt bezahlte Profile von Ärzten bevorzugt an und spielt diese auf unbezahlten Profilen von Wettbewerbern als Werbung aus. Durch dieses Werbegeschäft und die Präsentation zahlender Kunden widerspricht Jamedalaut BGH seiner Rolle als neutralem Informationsvermittler. Die Jameda-Geschäftsführung kündigte direkt nach dem Urteilsspruch an, die Anzeigenleiste mit zahlenden konkurrierenden Ärzten sofort aus dem Portal zu nehmen.
Das Urteil gegen Jamedawar noch nicht gesprochen, da richteten sich die Blicke aller direkt auf die anderen populären Bewertungsportale im Internet. Eins davon: kununu.
Anders als Jameda, listet das Arbeitgeber-Bewertungsportal kunununicht alle in Deutschland existierenden Arbeitgeber, das Geschäftsmodell ist aber vergleichbar: Bezahlte Firmenprofile werden bevorzugt und auf unbezahlten Profilen von Wettbewerbern ausgespielt. Droht hier nun eine Klagewelle?
Dr. Jonas Kahl, Rechtsanwalt für Urheber- und Medienrecht bei Spirit Legal LLP in Leipzig, ordnet den Sachverhalt ein.
Herr Dr. Kahl, die Anwälte der Klägerin zeigten sich angesichts des BGH-Urteils erfreut, da nun „mit der Schutzgelderpressung seitens Jamedaendlich Schluss“ sei. Sehen Sie das ähnlich?
Dr. Jonas Kahl:Das Geschäftsmodell einer ganzen Reihe von Bewertungsportalen sieht oder sah vor, dass man durch das Buchen von „Premium-Paketen“ die Möglichkeit erhält, negative Bewertungen zu kommentieren und das eigene Unternehmen wieder ins rechte Licht zu rücken. Bei Jamedakonnte man durch Premium-Pakete auch verhindern, dass im Umfeld der eigenen Bewertungen Werbung von Mitbewerbern eingeblendet wird. Bei manchem Anbieter kann man auch Einfluss auf die eigene Positionierung im Ranking nehmen. Dass all diese Funktionen denjenigen zur Verfügung gestellt werden, die dafür zahlen, lässt natürlich ein Ungleichgewicht zwischen den Bewerteten entstehen. Denn alle Nichtzahler sind sämtlichen Widrigkeiten der Portale, wie negativen Bewertungen, schlechten Rankings, etc. schutzlos ausgeliefert. Insofern ist das Bild der „Schutzgelderpressung“ im Hinblick auf so manchen Anbieter in der Branche sicherlich nicht ganz falsch.
Wenn Bewertungsportale zahlenden Kunden Vorteile gewähren, sind die Ergebnisse dann überhaupt noch objektiv und die Informationen für die Nutzer hilfreich?
Dr. Jonas Kahl:Auf den Inhalt der Bewertungen selbst nahmen die Portale bislang keinen Einfluss. Dass sie die Rolle eines „neutralen Informationsvermittlers“ aber bereits durch die Ausgestaltung ihrer Plattform verlassen können, hat der Bundesgerichtshof nun in seinem Urteil festgestellt. Demnach ist ein Portal dann kein neutraler Vermittler mehr, wenn es einem Teil seiner Kunden kostenpflichtige Zusatz-Dienstleistungen anbietet. Der kommerzielle Charakter kann dann stärker zu gewichten sein, als eine vermeintliche Neutralität. Auch aus Nutzersicht lässt sich je nach Ausgestaltung der Plattform dann natürlich fragen, wie repräsentativ die abgegebenen Bewertungen überhaupt noch sind.
Das Arbeitgeber-Bewertungsportalkununugeht laut einer Stellungnahme davon aus, dass sich „das aktuelle Urteil des BGH speziell auf Ärzteplattformen bezogen“ habe und daher „in dieser Form nicht übertragbar“ sei.Glauben Sie, dass das Jameda-Urteil Auswirkungen auf kununuhaben wird?
Dr. Jonas Kahl:Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung keine Erwägungen getroffen, die rein Ärzteplattform-spezifisch sind. Daher wird die Entscheidung auch nicht nur Auswirkungen auf das Ärzteportal Jamedahaben, sondern auf die gesamte Branche der Bewertungsportale. Ob sie auch Auswirkungen auf kununuhat, wird davon abhängen, wie kununuseine Plattform und sein Geschäftsmodell künftig im Einzelnen gestaltet. Entscheidend wird sein, wo der Schwerpunkt des Portals liegt: Liegt er im neutralen Anbieten von Bewertungen oder im kommerziellen Angebot von Premium-Dienstleistungen und Werbung für die bewerteten Unternehmen? In letzterem Fall tritt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs die Meinungsfreiheit des Portals hinter die schützenswerten Interessen des bewerteten Unternehmens zurück. Das Unternehmen hätte dann einen Anspruch darauf, von der Plattform gelöscht zu werden.
Vergleichbar mit
weiterlesen auf Hrm.deSebastian Ofer ist Chefredakteur der Online-Portale HRM.de und HRM.ch sowie des TALENTpro-Blogs. Der Journalist und studierte Germanist hat ein sicheres Auge für spannende personalwirtschaftliche Themengebiete und die neusten Trends der Arbeitswelt.